Verwandt mit Goethe?

Jung und Alt spüren im Archiv für Genealogie in Höchst ihren Ahnen nach

Tausende Familiengeschichten lagern tief unter der beeindruckenden Fassade des Bolongaropalastes in Höchst. Seit über 40 Jahren gehen hier Menschen aus aller Welt auf die Spuren ihrer Vorfahren. Sie suchen in den Dokumenten vergangener Jahrhunderte, in vergilbten Karteikarten, alten Telefonbüchern und mittelalterlichen Leichenpredigten.

Frankfurt am Main (pia) Große Namen sind keine Seltenheit. Ob Karl der Große, Goethe oder Beethoven - wird der Stammbaum nur weit und breit genug zurück verfolgt, finden sich in fast jeder Ahnenreihe berühmte Persönlichkeiten. Irgendwann. Und mitunter sogar eine direkte Verwandtschaft. „Das macht die Forschung interessant", sagt Volkmar Leonhard, der sich als Nachfahr des Renaissance-Künstlers Lucas Cranach bezeichnen darf. Schon als Abiturient begab sich der 73-Jährige auf die Spuren seiner Ahnen. Seit drei Jahrzehnten engagiert er sich im Förderverein der Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte, dem Institut für Genealogie im Frankfurter Stadtteil Höchst.

Das Archiv versteckt sich hinter einer schweren Stahltür. Ein unauffälliges Schild verrät den Eingang. "Bitte klingeln" heißt es. Nur donnerstags von 16 bis 19 Uhr erklingt dann das Summen, lässt die Tür sich öffnen. Unverputzte Steintreppen führen tief unter die Erde. Eine weitere Stahltür führt durch einen kargen Lagerraum zum Ziel: in das Archiv. Es ist kühl, die Luft spürbar trocken. An den Wänden stehen schlichte Regale, dicht gepackt reihen sich Ordner an Buchrücken, drücken sich vergilbte Zeitschriften an dicke Telefonbücher. Im Hintergrund befinden sich Panzerschränke und weitere Regale mit Ortssippenbüchern, Taufregistern und Ahnenlisten. Es ist eine Reise zurück in die Zeit.

Leonhard hat viele Menschen aus ganz Deutschland, ja aus aller Welt, in die Katakomben des Bolongaropalastes steigen, suchen und wiederkommen sehen. Er weiß: Der Anfang ist niemals leicht. Denn schnell stoßen die Fragen bei Eltern, Großeltern und Verwandten an Grenzen, allein einen Grundstock liefern Familienfotos und -bücher, möglicherweise noch ein Ahnenpass. Die meisten, die den Weg in den Keller finden, kommen nur mit einem Namen. Ob Müller, Gmeiner oder Dick, der erste Schritt geht immer zu den Rollschränken, deren Schubladen über 300.000 Karteikarten beherbergen. Sie sind phonetisch geordnet. Denn auf die Schreibweise ist kein Verlass, sie verändert sich über die Zeit, von Ort zu Ort und von einem Familienmitglied zum nächsten. Die Karten sind abgegriffen, die Tinte ist verblasst. Allein die Staubflocken und der Archivar mit Nickelbrille und hoch gerollten Hemdsärmeln fehlen, um das Klischee zu erfüllen.

Die Genealogie, die Erforschung der eigenen Familiengeschichte, sei so populär wie lange nicht mehr, sagt Leonhard. Die Affinität dazu verlaufe wie eine Wellen-bewegung. „Momentan erleben wir wieder einen Höhepunkt." Alt und jung, selbst Teenager, begäben sich auf die Suche nach den Vorfahren. Auf eine Suche nach den kleinsten Spuren, nach Hinweisen und Verweisen, nach den Wurzeln des Namens und vergessenen Ortschaften. Es ist eine Recherche, die viel Zeit und Geduld erfordert, bei der man viele Stunden in tiefen Gewölben verbringt und jede neue Verzweigung des Stammbaums als große Entdeckung feiert. Der Lohn ist nicht allein das Wissen um die Herkunft. Mit jeder weiteren aufgespürten Generation offenbaren sich Einblicke in das Leben vor unserer Zeit, entwickelt sich das persönliche Ahnenstudium zu einem Studium der Heimat-, Sozial- und Bevölkerungsgeschichte.

Seit 1962 befindet sich das Institut für Genealogie in den Räumen des Bolongaropalastes. Es wächst mit jedem Tag und mit jedem publizierten Jahrbuch der rund 70 genealogischen Vereine in Deutschland. Deren Bestände sind meist regional ausgerichtet. Nur wenige beherbergen, wie der in Höchst, Dokumente aus dem gesamten Bundesgebiet: fast 13.000 Bücher, 9000 Akten und 900 Zeitschriftentitel. Mit einer gefundenen Karteikarte ist eine erste Orientierung gegeben. Jetzt gilt es zu blättern, zu lesen, zu notieren, weiterführende Hinweise zu finden und zum nächsten Regal zu gehen. Wer sich adeligen Ursprungs glaubt, schaut in die roten Bände der herrschaftlichen Stammbäume, und auch 500 original Leichenpredigten versprechen Auskünfte zu Berufsstand, Wohnort und Verwandten des Verstorbenen. Mannigfaltige genealogische Schriften, aufgeführt und gesammelt in den Zeitschriften für Familienkunde, reihen sich schier endlos in den Höchster Gewölben aneinander, es gibt dicke Bücher zur Wappenkunde oder auch ein Lexikon der historischen Krankheiten - damit auch der Gesundheitsstand der Vorfahren kein Rätsel bleibt.

Manch Suchender würde allerdings seine einmal aufgespürte Herkunft gerne wieder vergessen. So geschehen bei einer Familie aus dem Schwäbischen, die sich adeligen Ursprungs wähnte und statt dessen mit dem Wissen um Generationen von Henkern vorlieb nehmen musste.

Katharina Kütemeyer
Stadt Frankfurt am Main
Wochendienst vom 03. April 2007

Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte, Bolongaropalast, Bolongarostraße 103, Höchst
Öffnungszeiten: donnerstags von 16 bis 19 Uhr

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Datum: 03. April 2007